bei HIFI STATEMENT
Nach acht Jahren höre ich endlich wieder ein neues Tonabnehmersystem Aalt van den Huls. Das trägt zwar auch den Namen „Crimson“, aber mit dem Zusatz „Stradivarius“. Zudem werden alle größeren vdH-Systeme vom niederländischen Analogspezialisten selbst per Hand gebaut, und der kommuniziert nicht gleich jede seiner vielen den Klang verbessernden Ideen.
Für den damaligen Test hatte ich gerade ein Crimson eingespielt, als mir Aalt van den Hul eine modifizierte Version mit dünnerem Spulendraht und einer verbesserten Dämpfung zusandte. Sie brauchen nicht zu glauben, dass sich die Veränderungen in der Modellbezeichnung niederschlugen. Auch bei einem Prototyp – einer der ersten Abtaster mit einem rudimentären Holzgehäuse –, den ich nach einem Firmenbesuch erhielt, forderte mich der kreative Kopf aus Epe innerhalb von acht Monaten zweimal auf, diesen zurückzuschicken, da er beim Nachdenken noch weiteres Verbesserungspotential entdeckt habe. Dass sich auch ohne erkennbare äußerliche Hinweise beständig etwas tut, kann ich beim aktuellen Exemplar des Crimson XGW Stradivarius unter anderem daran erkennen, dass sich die individuellen technischen Angaben im Deckel des Holzkistchens doch an einigen Stellen von denen unterscheiden, die mir Stefan Becker, Inhaber des BT- und damit des deutschen vdH-Vertriebs, mitteilte. Generell wird die Ausgangsspannung mit 0,65 Millivolt bei einer Schnelle von fünf Zentimetern pro Sekunde angegeben. Beim Testexemplar werden jedoch lediglich 0,35 Millivolt genannt. Die empfohlene Abschlussimpedanz liegt bei 25 bis 200 Ohm, bei „meinem“ Stradivarius hingegen bei 10 bis 600 Ohm. Betrachtet man die unteren Werte und die Ausgangsspannungen, darf man vermuten, dass Aalt van den Hul beim aktuellen Modell weniger Golddraht auf den kreuzförmigem Spulenträger gewickelt hat als üblich. In diesem Fall würde auch der Gleichstromwiderstand der Spule geringer sein als die in den allgemeinen technischen Daten aufgeführten 13 Ohm. Aber das ist Spekulation.
Auf den kreuzförmigen Spulenträger sind wenige Wiklungen aufgebracht: Die Ausgangsspannung liegt mit 0,35 Millivolt dennoch im grünen Bereich, und die bewegte Masse ist dadurch recht gering
An Fakten haben wir, dass das Stradivarius den erwähnen kreuzförmigem Spulenträger (X) besitzt, für die Spulen Golddraht (G) verwendet wird, und der Generator in einem offenen Holzgehäuse (W) montiert ist. Ein Joch konzentriert die Energie des Somarium-Kobalt-Magnet auf den Bereich, in dem sich die Spulen bewegen. Die Bewegungen des Boron-Nadelträgers dämpft ein zweilagiges Gummi. Der Nadelschliff ist ein vdH 1S. Beim Stradivarius wurde der Holzkörper mit speziellem Lack behandelt, der in mehreren Schichten aufgetragen wird und zwischendurch immer wieder einige Tage trocknen muss. Für das Crimson wird eine effektive Tonarmmasse von zehn bis 16 Gramm empfohlen, für das Testexemplar sind es acht bis 14 Gramm. Wie dem auch sei: Diese Empfehlung schränkt meine Tonarmwahl stark ein: Einsteins The Tonearm besitzt selbst in der Neun-Zoll-Variante 18,5 Gramm effektive Masse, Thales gibt für den Simplicity II sogar – für mich schwer vorstellbare – 19 Gramm an, Helmut Thiele bescheinigt seinem TA01 14 Gramm und beim Ortofon 309 aus Edelstahl brauche ich den Wert erst gar nicht nachzuschauen. Da ich dem Crimson Stradivarius einen SME V – außer für die in Kürze folgenden herunterladbaren Songs in der Klangbibliothek – nicht zumuten möchte, greife ich schließlich zum AMG 12JT mit 12,2 Gramm.
Die Bewegungen des Spulenträgers werden von einem zweilagigen Gummi bedämpft
Vom ersten Kontakt mit dem Crimson vor acht Jahren habe ich seine begeisternde Dynamik und seine extrem gute Raumabbildung in positiver Erinnerung, aber auch, dass es im Hochtonbereich kein Kind von Traurigkeit ist, was die hochauflösende und eher nüchtern als einschmeichelnd spielende LumenWhite DiamondLight deutlich klarmachte. Deswegen war ich mir nicht sicher, ob der „schnelle“, ebenfalls sehr fein durchzeichnende AMG der ideale Partner für das van den Hul sein würde – aber nur solange, bis die ersten Töne erklangen: Schon bei ersten Stück auf Dino Saluzzis Kultrum, „Kultrum Pampa“, ziehen einen die Stimme und die Percussion des Bandoneon-Virtuosen fast magisch in die Tiefe eines riesigen – virtuellen? – Raumes. Die tiefen Trommeln entfachen jede Menge Druck. Zusammen mit dem rhythmischen Gesang entwickeln sie einen Groove, dem man sich einfach nicht entziehen kann. Aber das alles ist nur die Einleitung zum Part mit dem Bandoneon: Das habe ich selten so detailliert und kraftvoll gehört. Bis zum letzten Song der LP, „Por El Sol Y Por La Luvia“, hält die Begeisterung für Dino Saluzzis Musik und die vorzügliche Reproduktion über das Crimson an: Auch hier sind es wieder die Triangel, eine Pauke, der Gesang und das Bandoneon, die mal den Wechsel von eingängiger Melodie und Rhythmus und dann wieder deren Gleichzeitigkeit zu einem Erlebnis machen. Um so schöner, wenn ein glaubwürdiger Raum, sich unmittelbar vermittelnde Spielfreude und jede Menge Dynamik hinzukommen! Diese bisher so ungemein positive Eindruck ist übrigens der Grund dafür, dass ich es ohne weitere Experimente beim Abschlusswiderstand von 85 Ohm belasse.
Natürlich kommt hier ein Diamant mit vdH-S1-Schliff zum Einsatz
Bei den drei Alben Codonas, die ich mir dann gönne, fallen das sehr geringe Laufgeräusch und die wenigen, weit in den Hintergrund tretenden Knackser bei diesen wirklich oft gespielten Scheiben auf. Besonders bei „Goshakabuchi“ auf Codona 3 ist es bemerkenswert, mit welcher Attacke Don Cherrys Trompete einsetzt und wie lange sie im Nachhall des Raumes – oder doch dem von einer Hallplatte – zu hören ist, dazu dann später treibende Perkussion und ein Berimbau: ein Hochgenuss. Dem Crimson Stradivarius gelingt es ganz vorzüglich, jede Menge musikalische Spannung zu vermitteln und einen zu fesseln, ohne jemals Hektik oder Nervosität zu verbreiten. Gerade die teils exotischen Instrumentierung der Codona-Alben profitiert von den satten, aber nie zu warmen oder weichen Klangfarben des van den Huls, das mit mir jeder weiteren Scheibe besser gefällt.
Vor Jahrzehnten zählte John Abercrombie, Dave Holland, Jack DeJohnettes Gateway zu meinen Lieblingsscheiben. Wie sich nun beim abermaligen Hören herausstellte, mag ich es heute lieber ein wenig melodischer als früher. Die Themenvorstellung beispielsweise bei „Back – Woods Song“ macht noch durchaus Spaß. In Abercrombies Solo wird es dann aber zunehmend wilder. Dass ich im Anschluss noch beide Seiten bis zu Ende höre, liegt vor allem daran, dass die Becken zwar mit dem nötigen Biss rüberkommen, die Sounds der elektrischen Gitarre aber frei von jeglicher Schärfe sind. Zudem steht ihr ein extrem sonorer, druckvoller und bestens differenzierter Kontrabass sowie eine sehr realistisch anmutende, energiegeladene Bass Drum gegenüber. Die tonal rundum stimmige und emotional ansprechende jederzeit Abstimmung des Stradivarius macht für mich auch diese etwas schwerere Kost noch halbwegs genießbar.
Der Nadelträger besteht aus Boron
Weiter geht’s mit einem Gitarristen, dessen ECM-Duo-Alben mit John Abercrombie, Saragossa Sea und Ten Years Later, immer noch zu meinen Favoriten zählen: Ralph Towner. Auf seinem Solo-Album Diary von 1973 ist er dank Multitrack-Technik am Flügel und der Gitarre zu hören. Auf „Images Unseen“ kommen zu seiner Gitarre noch Gongs hinzu, die das Crimson mir einer Menge Schub im Hochtonbereich fordern. Aber sowohl von diesen als auch von den Impulsen der tiefen Saiten der Gitarre zeigt sich das Stradivarius völlig unbeeindruckt. Selbst bei den heftigsten Transienten bleiben die Klangfarben kräftig und der beigemischte Hall stets gut hörbar. Sehr beeindruckend! Auch die Sologitarre mit dem feinen Hall auf „Mon Enfant“ macht einfach Lust auf mehr: Das Crimson zeigt die sehr unterschiedliche Kraft, mit der die Seiten angerissen werden, präzise auf. Toll, welche Energie der Tonabnehmer an die nachfolgende Kette zu liefern vermag. Minimale Unsauberkeiten und Griffgeräusche werden ungeschminkt dargestellt und lenken dennoch nicht von der Melodie ab. Gut, dass sich das System noch in der Einspielphase befindet, und ich statt noch so aufschlussreicher Teststücke einfach in Ruhe längst vergessene LPs genießen kann.
Doch damit ist dann leider doch irgendwann Schluss, und ich ergebe mit dem Unvermeidlichen, zum Beispiel Jonas Hellborgs Elegant Punk: Doch sollte ich mich nicht beschweren, wenn ich mit einer so tiefen, sauberen, detailreichen und ungewohnt knisterfreien Wiedergabe verwöhnt werde. Da passt einfach alles, egal ob bei „Drone“ die bestens definierte unterste Oktave, bei „Little Wing“ die melodiöse Abfolge von Impulsen im virtuellen Raum oder das ebenso präzise wie druckvolle Slap-Gewitter bei „It’s The Pits, Slight Return“. Die Scheibe wirkt, wie speziell für das van den Hul aufgenommen. Klasse!
Dass das Crimson im Bassbereich brilliert, hatte sich ja schon in der Einspielphase angedeutet. Joaquin Rodrigos Concerto Andaluz in der Interpretation der Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner hingegen lebt vor allem von Streichern, Flöten und den vier Gitarren der Los Romeros. Das Stradivarius differenziert die Instrumentengruppen und die Solisten – auch untereinander – ganz hervorragend. Die Raumdarstellung gelingt überzeugend und die Wiedergabe ist tonal stimmig. Was ich bei dieser Aufnahme allerdings so nicht gewohnt bin, dass sie einem zum Fußwippen verführt. Das Crimson rückt die rhythmische Finesse des Stücks ein Stückchen weiter in den Vordergrund als viele andere Tonabnehmer. Zumindest für einen eingeschworenen Jazz-Fan ist das schlicht großartig.
Im Deckel des Kistchens hat Aalt van den Hul technische Daten des individuellen Systems vermerkt. Die können durchaus von den Prospektangaben abweichen
Dick Schorys Bang Baaroom and Harp darf natürlich nicht fehlen. Auch hier verblüfft, wie „leise“ der Diamant durch die bestimmte tausendmal gespielte Rille gleitet. Die Pauken zu Beginn des „Buck Dance“ kommen mit Macht, der Raum erstreckt sich weit in die Tiefe, auch wenn der ein oder andere – deutlich teurere – Tonabnehmer hier noch ein kleines Stückchen mehr Distanz zur Rückwand suggeriert. Beim Stradivarius wirken die Instrumente so plastisch, dass man meint, sie greifen zu können: eine glaubwürdige Abbildung, die sich nicht in den Untiefen des Raumes verliert. Die Differenzierung der Instrumente gelingt dem van den Hul ganz hervorragend. Und obwohl die Bühne extrem aufgeräumt und sauber zu sein scheint, haftet der Wiedergabe nichts Steriles an: Vor allem der Kontrabass kreiert einen packenden Groove, dem man sich einfach nicht verweigern kann. Das „Duell On The Skins“ macht dann noch einmal nachdrücklich klar, dass Dynamik zu den Paradedisziplinen des Crimson zählt.
Auch wenn ich die Platte immer mal wieder aus dem Regal ziehe, zählt sie für mich nicht zu den Testklassikern, sondern zu den Genussmitteln: Zakir Hussains Making Music. Auf „Anisa“ beispielsweise begeistern die Impulse der von John McLaughlin hart angerissenen Gitarrensaiten und die Intensität von Jan Garbareks Saxophonspiel – und der von Toningenieur Jan Eric Kongshaug perfekt eingefangene große Raum des Rainbow Studios. Aber eigentlich ist es müßig, einzelne Stücke oder Passagen herauszugreifen: Das Crimson lässt mich während beider Plattenseiten in Klangfarben, Raum und Transienten schwelgen!
STATEMENT
Das van den Hul Crimson XGW Stradivarius spielt in allen Hifi-Disziplinen auf sehr hohem Niveau und daher ungemein stimmig und wie aus einem Guss. Sein Schokoladenseiten sind die ungezügelte Dynamik und der druckvolle, definierte Bass. Für diese bezaubernden klanglichen Fähigkeiten ist der Preis ausgesprochen kundenfreundlich, vor allem wenn man bedenkt, dass etwaige Reparaturen oder ein Nadeltausch äußert fair kalkuliert sind. Ich habe bisher kein überzeugenderes van-den-Hul-System gehört. Vielleicht sollte ich mal ein Colibri XGW Grand Cru Elite ausprobieren…
Dirk Sommer